
Wenn das Volk falsch wählt – und trotzdem recht hat
Demokratie oder Liberalität – ein Abschied von den bequemen Wahrheiten
Es gibt diese peinlichen Momente, in denen einem die Demokratie ins Gesicht lacht. Zum Beispiel, wenn eine Wahl stattfindet – und das Ergebnis nicht so ausfällt, wie man es sich in seiner moralisch temperierten Netflix-Filterblase gewünscht hat. Da hat man doch so schön „offen“, „bunt“, „solidarisch“ gewählt – und dann steht da plötzlich ein Balken in Dunkelblau mit zweistelliger Prozentzahl. Fast, als hätten da Menschen ihre Stimme abgegeben, die anders denken. Eine Zumutung.
Und als wäre das nicht schon schlimm genug, schießen plötzlich Experten wie Unkraut aus dem Social-Media-Boden – selbsternannte Verfassungsjuristen, Moraltheologen und Krisenpsychologen mit WLAN-Anschluss – und rufen zum intellektuellen Exorzismus auf. Alles, was nicht in ihr säuberlich zurechtgelegtes Glaubensbekenntnis passt, wird sofort dämonisiert. Diskurs? Fehlanzeige. Wer anders denkt, wird nicht widerlegt – sondern exkommuniziert.
Was folgt, ist bekannt: Entsetzen. Analysepanik. Auftritte in Talkshows mit Stirnrunzeln und Sprachbildern wie „an der demokratischen Fassade kratzen“ oder „Sargnagel der Liberalität“. Dabei müsste man nur einmal tief durchatmen – und eine unangenehme Wahrheit zulassen: Demokratie heißt, dass auch das Falsche gewinnen darf. Zumindest aus Sicht derer, die sich selbst für das Richtige halten.
Wählen ja – aber bitte nicht das!
Demokratie ist ein wunderschönes Prinzip. Bis jemand es benutzt. Und das Ergebnis nicht zu den aktuellen Schlagworten auf dem Parteitag der urbanen Mitte passt. Dann wird Demokratie plötzlich zur Gefährdung der Demokratie erklärt. Ein intellektuelles Salto rückwärts, bei dem einem schon vom Zusehen schwindelig wird.
Da wählt eine Mehrheit eine Partei, die – sagen wir mal – mit der Willkommenskultur nichts am Hut hat, sich aber auf das Grundgesetz beruft. Eine Partei, deren Spitzenpolitiker manchmal wirken, als wären sie aus einem schlechten Drehbuch von 1933 gefallen. Und was passiert? Man redet plötzlich von „Notwehr der Demokratie“, von der „wehrhaften Republik“ – und überlegt ernsthaft, ob es nicht besser wäre, gewisse Wahlergebnisse einfach nicht anzuerkennen.
Verzeihung, aber wenn das Demokratie ist, dann bin ich ein veganer Metzger.
Rechtsruck oder nur Richtungswahl?
Was gerne als „Rechtsruck“ bezeichnet wird, ist in Wahrheit oft nur ein Richtungsschwenk. Nicht jeder, der sich gegen unbegrenzte Zuwanderung ausspricht, will gleich eine ethnisch homogene Volksgemeinschaft etablieren. Und nicht jeder, der Gendern für grammatikalischen Mumpitz hält, will zurück in die Steinzeit der politischen Aufklärung.
Aber das spielt kaum noch eine Rolle. Wer von der offiziell sanktionierten Meinungslinie abweicht – egal ob bei Migration, Energie, Bildung oder Sprache – steht schneller unter Extremismusverdacht als ein Hund im Iran (der darf nicht mal mehr Gassi gehen – aber das ist ein anderer Artikel).
Der Liberalismus als Demokratie-Führer
Hier kommen wir zum eigentlichen Kern: Die sogenannte liberale Demokratie ist längst kein demokratisches, sondern ein moralisches Konzept geworden. Es ist der Versuch, Demokratie unter eine Art Kuratel zu stellen – betreut von NGOs, Ethikräten und Faktencheckern.
Natürlich darf man wählen. Aber nur Parteien, die vorher von den Gatekeepern der Liberalität freigegeben wurden. Alles andere ist gefährlich. Oder, noch schlimmer: populistisch.
Doch was ist gefährlicher – eine gewählte Partei mit fragwürdigen Positionen? Oder eine Demokratie, die ihre Ergebnisse nur dann anerkennt, wenn sie dem Zeitgeist entsprechen?
Die Angst vor der falschen Mehrheit
Man hört es überall: „Was, wenn die Rechten gewinnen und dann die Demokratie abschaffen?“ Guter Punkt. Schauen wir uns das mal an.
Erstens: Sie haben noch nicht gewonnen. Zweitens: Es gibt bislang keine Beweise dafür, dass eine solche Partei, wäre sie tatsächlich an der Macht, die Demokratie abschaffen würde. Vieles davon ist Spekulation, gespeist aus historischen Analogien, die in ihrer Überstrapazierung langsam unfreiwillig komisch werden.
Drittens: Wenn eine Mehrheit sich freiwillig gegen die Demokratie entscheidet – ist das dann undemokratisch? Oder einfach der Wille des Souveräns?
Ein demokratischer Prozess, dessen einzig akzeptables Ergebnis das eigene Wunschresultat ist, ist kein demokratischer Prozess. Es ist ein betreutes Wählen.
Wenn Meinung zur Minestrone wird
Ein großes Problem unserer Zeit ist nicht nur die Meinungsfreiheit – sondern die Kunst, Meinungen absichtlich falsch zu verstehen. Nehmen wir ein harmloses Beispiel: Jemand sagt, früher habe man beim Abendessen zusammengesessen, ganz ohne Handys – und irgendwie war das schön. Keine WhatsApp-Töne, keine Instagram-Stories, nur Gesichter, Gespräche und das Geklapper von Besteck. Ein Satz wie aus dem Leben.
Doch bevor man Luft holen kann, um vielleicht noch einen zweiten Gedanken nachzuschieben, läuft das intellektuelle Empörungskarusell schon auf Hochtouren. Was? Früher war alles besser? Aha, Technikfeind! Fortschrittsgegner! Wahrscheinlich auch Impfgegner! Und irgendwer wird bestimmt noch eine wackelige Brücke zur NS-Zeit bauen – nach dem Motto: „Auch bei den Nazis gab’s kein Handy!“
Was ursprünglich als Beobachtung oder gar persönliche Vorliebe gemeint war, wird zur ideologischen Kampfansage uminterpretiert. Die Debattenkultur gleicht dabei einem Topf Minestrone: alles wird reingerührt, bis niemand mehr weiß, was eigentlich gemeint war – aber alle allergisch reagieren. Hauptsache, man kann sich empören. Inhalt? Spielt keine Rolle. Es geht ums Deuten, nicht ums Verstehen.
Zwischen Schicksal und Sendungsbewusstsein
Vielleicht sollten wir akzeptieren, dass Demokratie nicht dazu da ist, immer das Gute zu sichern – sondern das Recht auf das Schlechte zu garantieren. Demokratie ist kein Garant für Weisheit. Sie ist ein Raum für Irrtum, Meinungswechsel, Reue und Fortschritt. Kurz: für Menschlichkeit.
Und sie ist vor allem eins nicht: ein ideologisches Projekt. Demokratie ist nicht liberal. Sie ist nicht konservativ. Sie ist nicht rechts- oder linksextrem. Sie ist nicht woke, nicht national, nicht identitär. Sie ist – schlicht und radikal – die Möglichkeit, sich zu entscheiden. Auch falsch. Auch anders. Auch gegen das, was gerade als akzeptabel gilt. Wer Demokratie wirklich ernst nimmt, erkennt in ihr kein Bekenntnis, sondern ein Verfahren. Keine Haltung, sondern ein Werkzeug.
Wer jetzt einwendet, man dürfe die Demokratie nicht denen überlassen, die sie zerstören wollen – hat im Prinzip recht. Aber wer entscheidet, wer dazugehört? Wer bestimmt, was „destruktiv“ ist? Ein Verfassungsschutzpräsident mit Twitter-Account? Eine Meinungsumfrage bei Frontal21?
Der Popanz des Liberalismus
Liberalität ist eine feine Sache. Aber sie ist kein dogmatischer Überbau, der die Demokratie kontrollieren darf. Wenn Menschen aus freien Stücken illiberale Parteien wählen, ist das nicht das Ende der Demokratie – sondern ihr vielleicht schmerzhaftester Ausdruck.
Natürlich darf man das kritisieren. Natürlich darf man dagegen demonstrieren, schreiben, diskutieren. Aber verhindern – durch Ausgrenzung, Indizierung, politische Erpressung – darf man es nicht. Sonst wird man zu dem, was man bekämpfen will: ein Feind der Freiheit.
Demokratie ist kein Safe Space
Die Vorstellung, dass Demokratie immer schön, sicher und moralisch korrekt ist, gehört ins Märchenbuch. Demokratie ist laut. Sie ist unbequem. Und manchmal sieht sie aus wie ein Tweet von Alice Weidel. Oder ein schlechter Kommentar unter einem „Welt“-Artikel.
Aber genau das ist ihr Preis – und ihr Wert.
Und wenn morgen alles anders ist?
Stellen wir uns also vor, es käme, wie manche fürchten: Eine rechte Partei gewinnt die Mehrheit. Nicht durch Putsch, nicht durch Gewalt, sondern durch Stimmen. Wäre das das Ende? Oder einfach nur der Anfang eines anderen politischen Kapitels?
Wer wirklich an Demokratie glaubt, muss auch diese Möglichkeit zulassen. Nicht aus Naivität – sondern aus Konsequenz. Es gibt keine Demokratie à la carte.
Das Ding is:
Demokratie ist nicht dazu da, unsere moralischen Vorstellungen zu bestätigen, sondern sie zu hinterfragen. Wenn wir Mehrheiten nur dann gelten lassen, wenn sie unsere Werte teilen, haben wir Demokratie nicht verstanden – wir haben sie missbraucht. Liberalität ist ein Ideal, Demokratie ist ein Verfahren. Und manchmal widersprechen sich beide. In solchen Momenten zeigt sich, ob wir wirklich Demokraten sind – oder nur Fans einer bestimmten Weltsicht.
Wer das demokratische Spiel nur mitspielen will, solange er gewinnt, der sollte sich nicht über die Spielzüge der anderen beschweren. Wir müssen lernen, mit Ergebnissen zu leben, die wir nicht mögen – und sie trotzdem zu respektieren. Denn sonst war’s das nicht nur mit der Liberalität. Sondern auch mit der Demokratie.
Herzlichst, Mike
Wer anderer Meinung ist, darf das nicht nur sagen – er soll es sogar. Also ab in die Kommentare. Diskutiert mit: Wo endet Toleranz? Wo beginnt Doppelmoral? Und was, verdammt nochmal, ist noch erlaubt?
Hallo,
ich sehe das ganz anders. Ich denke Demokratie sollte dafür da sein, um schlechtes nicht an die Macht kommen zu lassen
Hallo Hendrik,
danke dir für deine Rückmeldung – genau dafür ist der Diskurs da.
Ich verstehe deinen Punkt gut: Natürlich wünschen wir uns, dass Demokratie das Schlechte verhindert.
Die Frage ist nur, wer definiert, was „schlecht“ ist – und auf welcher Grundlage.
Gerade in einer pluralistischen Gesellschaft kann das sehr unterschiedlich empfunden werden.
Mein Anliegen war es, darauf hinzuweisen, dass Demokratie eben auch dann demokratisch bleibt, wenn ihre Ergebnisse unbequem sind – und dass wir als Gesellschaft lernen müssen, mit dieser Spannung umzugehen.
Ich freue mich, wenn du dich weiter einbringst – gerade unterschiedliche Sichtweisen machen die Debatte spannend.