
Ein satirischer Blick auf ein Land, das selbst beim Grenzschutz höflich „bitte“ sagt
Stellen wir uns einen Moment lang vor, Deutschland wäre ein Haus. Ein schönes, solides Reihenmittelhaus mit gepflegtem Vorgarten, Solaranlage und Mülltrennung in acht Kategorien. Und nun stell dir vor, du bist derjenige, der entscheiden darf, wer durch die Haustür kommt. Klar, du hast Regeln. Einen Türspion. Manchmal sogar Besuch von der Polizei. Und dann steht da jemand vor deiner Tür, ruft „Asyl“ und – zack – muss er rein.
Genau das ist Deutschland im Juni 2025.
Die Rebellion der drei Somalier
Die Geschichte beginnt wie jede gute Satire: mit einem Urteil. Ein Urteil, das für Aufsehen sorgt. Ein Urteil, das ein Symbol ist. Ein Urteil, das zeigt, wie absurd, komplex und gleichzeitig notwendig Recht sein kann.
Geklagt haben drei Menschen aus Somalia. Eine verletzte Minderjährige und zwei junge Männer. Sie kamen aus Polen, hatten Wochen der Flucht hinter sich – und eine klare Ansage an die deutsche Bundespolizei: „Wir möchten Asyl beantragen.“
Die Antwort? „Sorry, Polen ist sicher. Bitte zurück auf Los. Und wenn ihr keinen gültigen Fahrschein habt, dann ist das jetzt doppelt ärgerlich.“
Zurückweisung mit Stil – powered by Deutschland
Die Beamten handelten, wie man es von einem durchorganisierten Staat erwartet: schnell, effizient und vollkommen ahnungslos. Asylantrag? Ja, kann man ja stellen. Aber muss man auch nicht ernst nehmen. Immerhin gibt’s ja §18 AsylG – Rückführung bei Einreise aus einem sicheren Drittstaat.
Also ab zurück nach Polen, wo man ebenfalls schon begeistert auf weitere Dublin-Rückkehrer wartet wie auf einen Zahnarzttermin mit Stromausfall.
Doch die drei wollten nicht aufgeben. Sie hatten nicht nur Hoffnung, sondern – Achtung, das wird juristisch! – ein Grundverständnis für europäisches Recht und einen guten Draht zu Pro Asyl. Und das reicht heute völlig aus, um eine Regierung aus dem Takt zu bringen.
Berlin sagt: Nö!
Das Berliner Verwaltungsgericht, der moralische Hochsitz der Paragraphenwelt, urteilte: Nein. Wer auf deutschem Boden steht und „Asyl“ sagt, wird nicht zurückgewiesen – außer er will zurück nach Köln.
Die Richter verwiesen auf das Dublin-System. Wer zuständig ist, klären wir später. Aber erst mal: Willkommen in Deutschland! Bitte folgen Sie dem Schild Richtung Aufnahmezentrum. WLAN gibt’s ab 17 Uhr, Beschwerden bitte in dreifacher Ausführung einreichen.
Dobrindt, der Unerschütterliche
Innenminister Alexander Dobrindt, frisch im Amt, mutmaßlich noch im Einarbeitungsmodus, hatte eigentlich anderes geplant. Grenzen dicht. Zack. Fertig. Applaus. Wahlsieg sichern.
Aber da hat er die Rechnung ohne das Rechtsstaatlichkeits-Abo gemacht, das Deutschland nun mal gebucht hat. Denn dieses Urteil – das ist wie ein Stempel auf der Stirn: „Nicht durchführbar, bitte neu starten.“
Und was sagt Dobrindt? „Wir machen trotzdem weiter!“ Das Urteil? „Einzelfall.“ Die Realität? „Wird überbewertet.“
Man könnte meinen, er denkt, das Verwaltungsgericht sei eine Filiale der Verbraucherzentrale – danke für die Meinung, aber wir haben unsere eigene.
Asylrecht vs. Realität: 1:0 für die Theorie
Das Urteil beruft sich auf EU-Recht. Dublin-Verordnung, Genfer Konvention, Menschenwürde – das volle Programm. Und so schön das klingt: In der Praxis heißt das, dass man erst mal alle reinlassen muss, auch wenn klar ist, dass sie eigentlich woanders hin gehören.
Stell dir vor, du betreibst ein Hotel mit 10 Zimmern. Jemand kommt rein, setzt sich in die Lobby und sagt: „Ich hab kein Geld, aber ich will hier wohnen.“ Du sagst: „Tut mir leid, wir sind voll.“ Und er sagt: „Ich bleib trotzdem, bis ihr rausfindet, ob nicht das Hotel in Belgien für mich zuständig ist.“
Willkommen in der Realität des Dublin-Systems.
Die Polizei – zwischen Recht und Rücktritt
Mittendrin: die Bundespolizei. Sie machen ihren Job tagtäglich unter schwierigen Bedingungen – professionell, pflichtbewusst und mit einem Maß an Disziplin, das man in manch anderen Bereichen vergeblich sucht. Und jetzt? Müssen sie bei jeder Grenzkontrolle überlegen, ob sie nicht gerade EU-Recht verletzen.
Die Polizeigewerkschaft versucht zu beruhigen. Manuel Ostermann sagt: „Die Polizisten können ihren Job weiter machen, ohne Angst haben zu müssen, dass sie sich strafbar machen.“
Na dann ist ja alles gut! Solange man sich nach jeder Kontrolle eine Rechtsberatung einholt und vorher dreimal die Dublin-Verordnung rückwärts aufsagt, kann eigentlich nichts schiefgehen.
Die Grünen jubeln, die Realität weint
Die Reaktionen auf das Urteil waren vorhersehbar:
Die Grünen? „Endlich wieder Menschlichkeit!“
Die SPD? „Wir sind auch irgendwie dagegen, aber auch ein bisschen dafür.“
Die Union? „Alles falsch!“
Und während sich alle gegenseitig in ihrer moralischen Überlegenheit suhlen, stehen in Passau, Frankfurt (Oder) und Rosenheim die Polizisten mit ihren Vorschriftenheften und versuchen herauszufinden, ob ein somalischer Jugendlicher mit Knieverletzung jetzt eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ darstellt oder nur dringend ein Pflaster braucht.
Notlagen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren
Dobrindt hatte sich auf Art. 72 AEUV berufen – eine Notfallklausel, die es erlaubt, europäisches Recht zu ignorieren, wenn die nationale Sicherheit bedroht ist.
Das Gericht? Hat gelacht. Also juristisch gelacht. In Fußnote 37.
Denn: Eine Notlage besteht nicht, nur weil man gerne weniger Leute hätte. Oder weil eine 16-Jährige aus Somalia in Frankfurt (Oder) aufgetaucht ist. Nein, da muss schon mehr passieren. Mindestens ein Meteoriteneinschlag oder ein CDU-Parteitag in Offenbach.
Das große Missverständnis: „Dublin regelt das schon“
Fun Fact: Die Dublin-Regelung funktioniert nicht. Schon lange nicht mehr. Sie ist wie ein altes Faxgerät im Keller eines Jugendamts – theoretisch vorhanden, praktisch tot.
Die Idee: Der erste EU-Staat, den jemand betritt, ist zuständig für den Asylantrag. Die Praxis: Die meisten treten zuerst in Griechenland oder Italien ein – also Staaten, die mittlerweile ihre Dublin-Kontaktpersonen nur noch mit „abwesend“ im Mail-Autoresponder vermerken.
Also bleibt alles an Deutschland hängen. Natürlich. Weil wir effizient sind. Und fleißig. Und zu höflich, um einfach mal „Nein“ zu sagen.
Rückweisungen? Ja. Aber bitte mit Etikett
Das Verrückte: Niemand ist per se gegen Rückweisungen. Nicht mal das Gericht. Es sagt nur: Macht es ordentlich. Mit Verfahren. Mit Zuständigkeitsklärung. Mit Stempel.
Aber das ist in etwa so, als würde man einem überfüllten Bus sagen, er soll neue Fahrgäste bitte alphabetisch sortiert aufnehmen. Am Ende sitzt trotzdem wieder einer auf dem Schoß vom Fahrer – und hat keinen gültigen Fahrschein.
Die Kanzlerfrage: Wohin mit dem Menschen?
Friedrich Merz, der neue Kanzler, hat sich zum Urteil bislang nur verkniffen geäußert. Wahrscheinlich, weil er gerade dabei ist, ein Memo zu diktieren mit dem Titel: „Asylrecht reformieren – aber bitte ohne Europarecht zu verletzen (diesmal wirklich).“
Denn eines ist klar: Die große politische Erzählung – „Wir machen die Grenzen dicht“ – funktioniert nur, wenn auch die Gerichte mitspielen. Und wenn das nicht klappt, dann muss man sich halt einen neuen Plan überlegen. Vielleicht eine deutsche Außengrenze auf Mallorca. Oder ein Asylverfahren auf Sylt – mit Champagnerpflicht.
Die wahren Helden: Druckerpatronenhersteller
Übrigens: Die echten Gewinner dieser ganzen Geschichte sind die Leute, die Formulare herstellen. Denn jetzt braucht man für jeden Asylsuchenden drei Kopien, zwei Erklärungen, vier Rückfragen an Brüssel und einen Ausdruck des EU-Datenblattes in sechs Sprachen.
Die Umweltbilanz? Katastrophe. Aber hey, wenigstens läuft die Bürokratie.
Das Ding is:
Ja, es muss weniger werden. Das darf man sagen, ohne sich gleich in der Blauen Ecke wiederzufinden. Migration kann eine Bereicherung sein – aber nicht im Übermaß, nicht im Chaos, und nicht ohne Regeln.
Ein funktionierendes Asylsystem muss nicht jedes Schutzgesuch aufnehmen – aber es muss den Umgang damit rechtssicher gestalten. Und genau das ist der Punkt: Wer will, dass weniger kommen, braucht nicht laut zu brüllen, sondern klug zu handeln.
Dobrindts Strategie: Symbolpolitik mit Durchhalteparolen. Doch Symbolik hilft weder der Polizei noch dem Staat. Und erst recht nicht den Menschen, die wirklich Hilfe brauchen.
Wir brauchen weniger Migration – ja. Aber wir brauchen vor allem einen Staat, der weiß, was er tut. Und keine Innenminister, die glauben, Urteile seien Meinungsbeiträge.
Herzlichst,
euer Mike Hardel
Diskussion ausdrücklich erlaubt – gerne auch mit Fußnote…