
Ein Mann, drei Herzinfarkte – und ein Staat, der auf das richtige Formular wartet
Drei überlebte Herzinfarkte. Ein implantierter Defibrillator, der bei Bedarf elektrische Schockwellen durch den Brustkorb jagt. Und ein Sozialstaat, der sich auf die Stirn geschrieben hat, niemanden zurückzulassen – es sei denn, man hat keine aktuellen Unterlagen mit sieben Stempeln drauf.
Ein Mann kämpft um seine Existenz. Und sein Gegner ist nicht seine Krankheit. Sondern das Jobcenter.
Er lebt aktuell bei einer Freundin, die selbst kaum etwas hat, aber das Wenige mit ihm teilt. Ohne sie wäre er obdachlos. Kein Bildnis, keine Übertreibung. Einfach nur: Realität.
Das Gutachten: 595 Kilometer entfernt. Und trotzdem völlig losgelöst von der Wirklichkeit
Was das Jobcenter nun verlangt, ist ein ärztliches Gutachten. Ein Standardprozess – in der Theorie. In der Praxis: ein absurdes Hindernis. Denn der beauftragte ärztliche Dienst sitzt im 595 Kilometer entfernten Ort, wo der Mann mal gelebt hat. Dort, so die Begründung, lägen noch Akten vor.
Und weil der Mann selbst – obwohl reisetauglich – kein Geld für eine derartige Odyssee hat, wird das Ganze als Gutachten nach Aktenlage durchgeführt. Kein Gespräch. Keine Untersuchung. Keine Beobachtung. Einfach ein Verwaltungsakt mit medizinischem Anstrich. Entscheiden soll, was in einer möglicherweise veralteten Akte steht. Und was dort nicht steht, zählt nicht.
Der Mann selbst glaubt: Das ist kein Versehen – das ist Verzögerungstaktik. Und er hat allen Grund dazu. Denn:
Sechs Monate. Null Hilfe. Und das in einem Sozialstaat.
Im Januar 2025 hat er seine Lage offiziell gemeldet. Ohne Einkommen. Ohne Wohnung. Ohne Chance, sich selbst zu versorgen. Und im Juni 2025? Immer noch keine Hilfe. Keine Unterstützung. Kein Bescheid. Nur ein anstehendes Gutachten, das irgendwann irgendwo von irgendwem auf Basis veralteter Unterlagen erstellt werden soll.
Was sich hier aufdrängt, ist eine einfache, aber unangenehme Frage:
Muss man wirklich auf ein Gutachten warten, um einem Menschen zu helfen, der ganz offensichtlich in Not ist?
Er hat keine Einkünfte. Er ist abhängig von privater Hilfe. Und selbst das Jobcenter weiß, dass es nicht um seine momentane Lebensfähigkeit geht – sondern lediglich darum, wie vermittelbar er möglicherweise noch ist. Das ist keine Frage des Überlebens. Sondern eine der Arbeitsmarktperspektive.
Was sagt das Gesetz dazu?
Tatsächlich gibt es Spielräume – auch im Amt. § 44 SGB II (Ermessensleistungen bei besonderen Lebenslagen) und § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB I regeln ausdrücklich, dass Leistungen auch vorläufig erbracht werden können, wenn der Anspruch dem Grunde nach wahrscheinlich ist. Das bedeutet: Selbst wenn noch nicht alle Unterlagen vorliegen, darf und soll das Amt bei akuter Hilfebedürftigkeit Leistungen auszahlen.
Kurz: Wenn klar ist, dass jemand nichts hat, dann darf man ihm nicht monatelang die Mittel verweigern – nur weil ein Gutachten aussteht, das keine Überlebensfrage klären soll.
Dass das hier nicht geschieht, ist kein Rechtsproblem. Es ist ein Willensproblem.
Empfangsbestätigung? Fehlanzeige. Menschlichkeit? Auch.
Als der Mann zuletzt Dokumente erneut einreichte – wohlgemerkt dieselben, die zuvor „verloren“ gegangen waren – bat er um eine schriftliche Bestätigung. Antwort: „Sowas machen wir nicht.“
Dabei sieht die Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit seit Jahren vor, auf Wunsch eine Empfangsbestätigung auszustellen. Kein Hexenwerk. Nur ein Stempel. Aber man weigert sich – aus Prinzip? Aus Überforderung? Aus Bürokratentrott?
So oder so: Das Ergebnis ist eine Akte, die wie ein Schweizer Käse aussieht – und ein Mensch, der daran scheitert, dass Formulare lauter sprechen als seine Notlage.
Das System schützt sich – nicht den Menschen
Dass das Gutachten nun ausgerechnet im alten Wohnort erstellt wird, ist kein Zufall. Dort liegen die Akten, sagt das Amt. Und vermutlich enthalten sie alles Nötige, um seine geringe Belastbarkeit zu dokumentieren. Nur: Warum dauert es dann so lange? Warum zieht sich alles wie Kaugummi in der Wintersonne?
Der Verdacht liegt nahe: Hier wird Zeit geschunden. Und zwar auf Kosten eines Menschen, der keine Zeit mehr hat.
Freundschaft ersetzt Sozialstaat
Dass dieser Mann heute nicht unter einer Brücke sitzt, ist keine Leistung der Verwaltung. Sondern einer Frau, die keinen Dienstauftrag braucht, um zu helfen. Sie sorgt für ihn. Sie teilt ihr Essen. Ihre Zeit. Ihren Mut.
Solche Menschen halten das Land zusammen. Nicht die Paragraphen. Nicht die Behörden. Sondern echte Menschlichkeit. Unbürokratisch. Unbezahlbar.
Das Ding is:
Wenn ein Mensch seit sechs Monaten ohne eigenes Einkommen lebt, auf private Hilfe angewiesen ist und längst alles offengelegt hat – dann braucht er keine zusätzliche Analyse. Dann braucht er Hilfe.
Nicht morgen. Nicht nach dem Gutachten. Sondern jetzt.
Das Gutachten mag dem Amt helfen, zu verstehen, wie vermittelbar dieser Mensch ist. Aber es erklärt nicht, warum er in der Zwischenzeit behandelt wird wie ein Bittsteller zweiter Klasse. Die Notlage ist real. Sichtbar. Nachvollziehbar. Dass trotzdem keine Mittel bereitgestellt werden, ist nicht Verwaltung – es ist Ignoranz.
Was bleibt, ist der Eindruck: Wer heute in Deutschland Hilfe braucht, muss erst beweisen, dass er nicht simuliert, dann warten, bis sich ein Amt sortiert hat, und dann hoffen, dass jemand gnädig ist. Und das alles, während man sich in Wirklichkeit längst am Rand bewegt.
Es ist nicht das kaputte Herz, das diesen Mann zermürbt. Es ist die Kälte eines Systems, das lieber Papier verwaltet als Menschen rettet.
Herzlichst, Mike
Diskussion erwünscht:
Wem helfen wir wirklich? Wo versagt das System? Teil deine Meinung!
Und weiter? Andere haben es auch nicht leicht. was kann ich dafür das der Typ kein Geld hat? Arme Menschen widern mich an!
Er kann meine Wohnung putzen. Gibt auch Mindestlohn.