
Also ganz ehrlich: Es ist doch furchtbar, was man da sieht. Diese Videos – du weißt schon, die Clips auf TikTok, Instagram, X – zeigen, wie Polizisten auf wehrlose Menschen losgehen. Da wird geprügelt, geschubst, geschrien. Menschen werden zu Boden gedrückt, beleidigt, gedemütigt. Und zum Glück – ja, wirklich zum Glück – gibt es immer jemanden, der sein Handy zückt. Der mutig genug ist, diese Gewalt zu dokumentieren. Diese Ungerechtigkeit. Diese Machtübergriffe. Ohne diese Videos wüssten wir ja gar nicht, was da draußen passiert. Wie brutal das System ist. Wie sehr Menschen, die sowieso schon am Rand stehen, auch noch von der Polizei schikaniert werden.
Hinweis: Dieses eingebettete Video dient ausschließlich der Analyse öffentlicher Empörungsmechanismen im Netz. Die gezeigten Inhalte stammen von TikTok und spiegeln nicht zwangsläufig die vollständige Situation wider. Eine abschließende Bewertung ist ohne Kontext nicht möglich.
Ich meine: Diese Clips lügen nicht. Sie zeigen, wie es ist. Große, fette Texteinblendungen schreien uns an: „POLIZEIGEWALT!!!“, „RASSISMUS LIVE!!“. Und wir schauen zu, empört, betroffen, wütend. Natürlich ist da Rassismus. Natürlich ist da strukturelle Gewalt. Und wer das nicht erkennt, der will es nicht erkennen.
So dachte ich jedenfalls. Und ehrlich gesagt – manchmal denke ich es auch heute noch. Bis ich angefangen habe, genauer hinzusehen.
Warum starten diese Videos immer erst dann, wenn die Polizei zuschlägt? Warum sieht man nie, was vorher passiert ist? Warum fehlt der Anfang? Warum steht da nie, warum es zur Maßnahme kam? Warum wirkt das angebliche Opfer plötzlich so ruhig, sobald die Kamera läuft?
Und plötzlich tauchte eine neue Frage auf: Will ich hier gerade wirklich Gerechtigkeit – oder einfach nur Bestätigung? Vielleicht ist das, was ich da sehe, nicht die volle Wahrheit. Vielleicht ist es eine Geschichte – sauber geschnitten, clever betextet, perfekt für die Empörungsmaschine. Und ich? Ich war ein williges Zahnrad in dieser Maschine.
Ich weiß, ich weiß – es ist ein heikles Thema. Aber wer sich zwischen Kaffee und Kant herumtreibt, erwartet hoffentlich keine Wellnessoase für zartbesaitete Meinungen. Also legen wir los.
Ich schreibe diesen Blog. Und weil ich auch mal sehen will, was die Welt sonst so bewegt (außer mich), bin ich auf TikTok, X, Instagram und Facebook unterwegs. Dort begegnet mir immer wieder ein ganz besonderes Genre digitaler Empörungskunst: das Video, in dem arme Menschen von der Polizei bedroht, belästigt oder gleich völlig grundlos verhaftet werden. Immerhin hat praktischerweise immer jemand sein Handy griffbereit – und filmt, wie ein deutscher Polizist mutmaßlich auf einen unschuldigen Menschen mit Migrationshintergrund losgeht.
Die Dramaturgie ist dabei stets Oscar-verdächtig: große, fette Texteinblendungen à la „POLIZEIGEWALT!!!“ und „RASSISMUS LIVE!!“, dazu empörte Stimmen aus dem Off, am besten mit wackeliger Kamera, um die Authentizität zu unterstreichen. Ein bisschen wie „Akte X“, nur mit weniger Aliens und mehr Vorverurteilung.
Und ja – man sieht tatsächlich Polizisten, die hart durchgreifen. Aber was man nie sieht: Wie kam es dazu? Der Vorspann fehlt. Kein Kontext, keine Vorgeschichte, keine Info darüber, was genau passiert ist. Die Kamera läuft immer exakt ab dem Moment, in dem die Polizei agiert. Warum, wieso, weshalb? Geschenkt.
Stattdessen steht schon fest, was Sache ist: Der Polizist ist der Böse, das Gegenüber das Opfer – am besten mit Migrationshintergrund, denn das gibt dem Ganzen gleich ein moralisches Upgrade. Deutschland = strukturell rechtsradikal. Polizei = latent NS-revival. Bürger = schweigende Komplizen. Das ist die Message. Fertig geschnitten, betextet und viralisiert.
Und während ich das so sehe, frage ich mich: Wer ist hier eigentlich der Extremist?
Ich meine: Ja, es gibt Polizeigewalt. Natürlich. Ja, es gibt Rassismus. Auch das. Und ja – es gibt Polizisten, die ihren Job verfehlen. Aber es gibt auch Menschen, die sich wie die Axt im Wald benehmen, sich der Kontrolle widersetzen, Beamte beleidigen, angreifen oder einfach den halben Bahnhof zerlegen. Und die gibt’s nun mal in jeder Hautfarbe, mit oder ohne Migrationshintergrund. Ein Arschloch ist ein Arschloch – völlig unabhängig vom Herkunftsnachweis.
Ich weiß, das darf man eigentlich nicht sagen. Oder besser: Man darf es schon sagen, aber nur flüsternd, unter der Bettdecke, mit Aluhut und dem Handy im Flugmodus. Denn sonst könnte jemand denken, man sei… na ja, du weißt schon. „Rechts“. Oder „rechts offenes Mittelfeld“. Oder „Nazisympathisant“, je nach Algorithmus.
Dabei ist es doch genau diese Einteilung, die absurd ist: Polizist mit deutscher Herkunft greift migrantische Person an = Rassismus. Polizist mit Migrationshintergrund greift migrantische Person an = systemischer Rassismus. Migrantische Person greift Polizist an = Frust über strukturelle Diskriminierung. Ich überzeichne? Vielleicht. Aber manchmal frage ich mich, ob es nicht der Realität näherkommt als uns lieb ist.
Was wir gerade erleben, ist ein schleichender Umbau der Wahrnehmung. Nicht mehr Tat zählt, sondern Täterprofil. Nicht mehr Verhalten, sondern Herkunft. Und die Wahrheit? Die interessiert in den Kommentaren eh niemanden – viel zu sperrig, viel zu differenziert. Wichtiger ist: Wer ist das Opfer, wer ist der Unterdrücker? Und wehe, man vertauscht das im Narrativ.
Ich jedenfalls habe keine Lust, mir die Welt in „gut“ und „böse“ sortieren zu lassen wie in einer Netflix-Serie mit moralischem Bildungsauftrag. Ich will wissen, was passiert ist – nicht nur, wie es aussieht. Ich will, dass Recht und Unrecht nicht von der Hautfarbe, dem Akzent oder der Texteinblendung im Video abhängen. Und ich will, dass wir aufhören, jeden Vorfall zu instrumentalisieren für das große Gesellschafts-Puzzle „Wer ist der eigentliche Nazi?“
Weißt du, worauf ich wirklich Bock hätte? Auf ein Video mit dem Titel: „Hier hat jemand Mist gebaut – unabhängig von der Herkunft. Und die Polizei hat eingegriffen – unabhängig von der Herkunft.“ Aber das klickt halt keiner. Kein Drama. Kein Skandal. Kein Skandal = kein Algorithmus-Futter.
Und was mich besonders irritiert: Diese Empörungs-Videos funktionieren wie eine moderne Form der öffentlichen Anklage – nur ohne Richter, ohne Verteidigung, ohne Beweise. Es reicht, dass ein Video existiert. Es reicht, dass jemand den Satz drüberschreibt: „Schon wieder Polizeigewalt!“ – und schon rollt die Lawine der Verurteilung los. Da wird nicht gefragt, ob die Maßnahme rechtmäßig war. Es wird nicht geschaut, ob es eine Vorgeschichte gab. Und wenn doch – dann interessiert sie niemanden. Weil Empörung keine Geduld hat. Und noch weniger Lust auf Recherche.
Manchmal frage ich mich, ob die Leute, die diese Clips teilen, wirklich an Aufklärung interessiert sind – oder nur an moralischem Selbstwertgefühl. An der Möglichkeit, sich auf die Seite der „Guten“ zu stellen. Ein Klick auf „Teilen“, ein empörter Kommentar – und schon fühlt man sich wie ein kleiner digitaler Robin Hood. Nur ohne Bogen, ohne Kontext, aber mit WLAN.
Versteh mich nicht falsch: Missstände sollen benannt werden. Fehlverhalten muss Konsequenzen haben. Aber wenn wir anfangen, unsere Urteile ausschließlich auf 30 Sekunden Handyvideo zu stützen – dann können wir auch gleich das Strafrecht abschaffen und durch ein Bewertungsportal ersetzen. Sterne für Polizisten. Herzchen für Täter. Hashtags für alle. Und das nennt sich dann „Gerechtigkeit“.
Also drehen wir weiter unsere Kurzclips, schneiden raus, was nicht passt, und empören uns synchron in den Kommentaren. Hauptsache, es fühlt sich gut an. Und Hauptsache, die Polizei ist schuld. Immer. Automatisch. Ohne Kontext. Ohne Nachdenken.
So funktioniert Gerechtigkeit heute. Version 2.0. Geschnitten, vertont, veröffentlicht – in 30 Sekunden.
Aber nochmal: Wer ist hier eigentlich der Extremist?
Das Ding is: Wir verlieren gerade den Blick fürs Ganze. Statt über Verhältnismäßigkeit, Polizeistrategien oder die Realität sozialer Brennpunkte zu diskutieren, flüchten wir uns in Empörungssprints und digitaler Schwarzweißmalerei. Wer sich für eine differenzierte Sicht einsetzt, wird schnell als „Verharmloser“ oder „Rechter“ abgestempelt. Dabei wäre genau das nötig: Differenzierung. Kontext. Reflexion. Und ja – Kritik. An der Polizei, wenn nötig. Aber eben auch an jenen, die mit Halbwissen und Vorverurteilung Meinung machen.
Was wir auch nicht vergessen sollten: Es gibt tausende Polizisten in diesem Land, die morgens rausgehen, ihren Job machen – oft unter widrigsten Bedingungen –, ohne zu wissen, ob sie abends gesund zu ihren Liebsten zurückkehren. Dafür habe ich tiefen Respekt. Nicht jeder, der eine Uniform trägt, ist ein Feindbild. Vielleicht sollten wir mal wieder anfangen, einen Polizisten einfach zu grüßen. Oder sogar – ich weiß, radikale Idee – uns für seinen Dienst zu bedanken. Vielleicht ist er dann kurz irritiert. Vielleicht wundert er sich. Aber vielleicht schenkt er dir ein Lächeln zurück. Und vielleicht – nur vielleicht – fängt genau da wieder Menschlichkeit an.
Was wir brauchen, ist keine moralische Filterblase, sondern ehrlichen Diskurs – auch wenn er unbequem ist.
Herzlichst, euer Mike Hardel
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