
Kita, Wartezimmer, Supermarkt, WhatsApp-Gruppe, Kommentarspalte
Früher dachte ich ja, gefährlich wird’s, wenn man nachts durch dunkle Gassen geht. Heute weiß ich: Die fünf gefährlichsten Orte Deutschlands findet man woanders – in der Kita, im Wartezimmer, im Supermarkt, in WhatsApp-Gruppen und in Kommentarspalten.
Es sind die Orte, die harmlos wirken. Die Orte, wo man glaubt, nur kurz rein zu müssen. Und dann geht man traumatisiert, müde und leicht aggressiv wieder raus.
1. Kita – das Schlachtfeld der Erleuchteten
Kita klingt nett. Ein bisschen Spielplatz, ein bisschen Basteln, ein bisschen Quetschie für alle. Aber wehe, du bringst deinem Kind ein Butterbrot mit – ohne Bio-Siegel.
Da verwandelt sich das pädagogisch wertvolle Mütterwesen plötzlich in eine militante Brotdosenpolizei mit Instagram-Ratgeberlizenz.
Du stehst da mit deinem Lidl-Roggenmischbrot und wirst angeschaut, als hättest du dem Kind eine Packung Zigaretten eingepackt.
Und dann kommt dieser Blick: „Wir machen hier Clean Eating. Ohne Zucker. Ohne Gluten. Ohne Freude.“
Für alle dich sich genauer erkundigen wollen, hier eine Seite von Claudia Thienel
Wirklich gefährlich wird’s aber am Elternabend. Da treffen Weltanschauungen aufeinander, die sich sonst nur in Kommentarspalten begegnen.
Impfen? Reizthema.
Zähneputzen? Reizthema.
Ob man Halloween feiern darf? Absoluter Kulturkrieg.
Und ich schwöre: Wenn eine Person das Wort „Bedürfnisorientierung“ sagt, knallt’s.
2. Wartezimmer – das Biotop des passiv-aggressiven Schweigens
Der zweite gefährliche Ort ist der Ort, wo man offiziell wartet. Inoffiziell stirbt man innerlich.
Ein Wartezimmer ist ein Raum, in dem Zeit stehenbleibt, das Husten aber nicht.
Du kommst rein, denkst, du bist gleich dran, weil nur zwei Leute da sind – und erfährst dann von der Empfangsdame mit Grabesstimme:
„Wir haben heute leider etwas Verzug. Der Herr vor Ihnen hat noch einen umfangreicheren Fall.“
Aha. Umfangreich. Wahrscheinlich eine Männergrippe murmeln die Damen.
Im Wartezimmer selbst sitzen sie dann. Die Flüsterer. Die Dauerleser der ‚Apotheken Umschau‘. Die, die kurz vor der Explosion stehen, weil jemand anderes sich nicht korrekt zur Reihenfolge äußert.
Und wenn du es wagst, kurz dein Handy zu checken, kommt dieser böse Blick von der 82-jährigen Doris, die seit 1957 jeden Blickkontakt als Provokation interpretiert.
Willkommen im sozialen Fegefeuer.
3. Supermarkt – das Dschungelcamp für Zivilisierte
Dass ausgerechnet Supermärkte zu den fünf gefährlichsten Orten Deutschlands zählen, hätte ich früher nie gedacht.
„Ich geh nur schnell was einkaufen.“
Klar. Und ich wollt auch nur kurz in die Badewanne und bin dann Vater geworden.
Im Supermarkt ist nichts einfach. Schon die Parkplatzsuche ist ein Survival-Training. Da kämpfen Rentner-SUVs, E-Autos und gestresste Mütter mit Einkaufswagen um jedes freie Stück Beton. Das haben wir hier bereits gelernt.
Drin geht’s dann weiter:
– Kind schreit, weil es keine Dino-Nuggets gibt.
– Erwachsene schreien, weil das Kind schreit.
– Die Kassiererin schweigt, weil sie innerlich schon ganz woanders ist.
Und die Selbstscankassen? Die sind der Endgegner.
Jede Bewegung wird kommentiert. „Bitte legen Sie den Artikel ab.“
Ich WILL den Artikel ablegen! Ich versuche es doch!!
Aber am gefährlichsten sind die Menschen vor dir, die 178 Coupons ausdrucken und versuchen, mit 17,40 Euro in Kleingeld die Welt zu retten.
Bis du dran bist, ist der Tiefkühlspinat wieder aufgetaut. Und deine Geduld gleich mit.
4. WhatsApp-Gruppen – digitales Irrenhaus mit Smileys
Man denkt ja, WhatsApp ist einfach nur ein Kommunikationsmittel. Aber dann tritt man versehentlich einer Familiengruppe bei – und man erkennt, WhatsApp gehört definitiv zu den fünf gefährlichsten Orten Deutschlands.
Die Tanten schicken 38 mal „Guten Morgen“ mit Blumen-GIF.
Der Onkel kommentiert alles mit „Haha“, auch Todesfälle.
Und irgendjemand fragt immer, ob man „mal eben“ für den Kindergeburtstag was mitbringen kann – „nichts Großes, vielleicht ein bisschen Fingerfood, vegane Muffins und was mit Dinkel.“
Schlimm sind auch die Gruppen mit Eltern. Es fängt harmlos an („Wer bringt morgen die Wasserflaschen mit?“) und endet mit einem 200-Nachrichten-Thread über die politische Symbolik von Trinkflaschenfarben.
Blau sei toxisch.
Rot zu auffällig.
Und Gelb… also bitte, denkt jemand an die Ukraine?
Verlassen darfst du die Gruppe übrigens nicht. Das wär unhöflich. Also liest du still mit, leidest und schickst gelegentlich ein Emoji, das ausdrücken soll: „Ich bin da, aber emotional tot.“
5. Ein Platz in der Liste der fünf gefährlichsten Orte Deutschlands ist der Kommentarspalte sicher.
Der gefährlichste Ort von allen: Die Kommentarspalte.
Sie ist die moderne Arena.
Hier wird nicht argumentiert – hier wird geschlachtet.
Und zwar nicht fair, sondern mit Capslock, persönlichen Beleidigungen und dem Satz: „DANN WANDER DOCH AUS!!!“
Du kommentierst:
„Ich finde, das Thema Gendern könnte man differenziert betrachten.“
Antwort: „Du Nazi.“
Du schreibst:
„Ich bin für Klimaschutz, aber auch für offene Debatten.“
Antwort: „Du bist gekauft von der Ölindustrie.“
Es gibt keine Zwischentöne. Nur noch Gut oder Böse. Richtig oder Falsch. Schwarz oder Weiß.
Und selbst das ist rassistisch.
Die Kommentarspalte ist ein Ort, an dem Menschen zu Meinungsmonstern mutieren.
Da sitzen sie, mit Chips und Doppelmoral, und verteilen Urteil und Urteilsschelte im Sekundentakt.
Und das Traurige: Jeder denkt, er sei der Gute.
Das Ding is:
Wir haben die Waffen unserer Gesellschaft selbst gebaut. Aus Nachrichten, aus Meinungen, aus Erwartungen. Und jetzt schießen wir damit aufeinander – in Kitas, in Supermärkten, in Kommentarspalten.
Das Absurde ist: Wir könnten einfach mal durchatmen. Zuhören. Lächeln. Ein „Ich seh das anders, aber ich versteh dich“ sagen.
Aber wir machen’s nicht. Weil es leichter ist, zu urteilen als zu verstehen und zu akzeptieren.
Die fünf gefährlichsten Orte Deutschlands sind keine Zufälle. Sie sind Spiegel. Und was wir darin sehen, liegt an uns.
Herzlichst, Mike
Diskutiert mit: Welcher dieser fünf Orte hat euch zuletzt den letzten Nerv geraubt? Oder fehlt ein noch schlimmerer Ort? Ich bin gespannt auf eure Geschichten.