
Stell dir vor, du sitzt mit leerem Kühlschrank am Monatsende auf der Couch, rechnest, ob du lieber die Stromnachzahlung oder die neuen Schuhe für dein Kind bezahlst – und dann liest du: Die Diätenerhöhung im Bundestag steht an. Wieder mal. Automatisch, versteht sich. Nicht etwa, weil sich jemand besonders nützlich gemacht hätte, sondern weil ein Algorithmus sagt: „Löhne sind gestiegen – gönnt euch!“
Und du so: „Ah. Klar. Ist ja nur mein Geld.“
Die automatische Selbstbedienung
Seit 2014 gibt es den sogenannten Diäten-Automatismus. Jedes Jahr zum 1. Juli orientiert sich das Salär unserer Abgeordneten an der Entwicklung der Bruttolöhne. Dieses Jahr gibt’s 5,4 Prozent mehr – also rund 606 Euro zusätzlich pro Monat. Neuer Kontostand: 11.833,20 Euro brutto. Für jedes der 736 Mitglieder des Bundestags. Und für jedes „Ähm… da müssen wir nochmal prüfen“, das man im Ausschussprotokoll findet.
Natürlich: Der Automatismus wurde ja eingeführt, um willkürliche Selbstbedienung zu vermeiden. Aber seien wir ehrlich – das ist, als würde sich ein Dieb jedes Jahr automatisch selbst beklauen lassen, um sich später auf höhere Gewalt zu berufen.
Die Rechtfertigung klingt immer gleich: „Es handelt sich um eine sachlich fundierte, objektiv ermittelte Anpassung.“ Man orientiere sich ja nur an der Lohnentwicklung im Land. Was niemand dazusagt: Die Durchschnittslöhne steigen auch deshalb, weil der untere Rand wegbricht. Wer nur noch drei Stunden pro Woche arbeitet, gilt statistisch als beschäftigt – also trägt sogar ein Aufstocker mit zwei Nebenjobs zur Lohnsteigerung bei. Chapeau, Deutschland.
Volksnähe war gestern
Aber vielleicht sind wir auch einfach zu ungerecht. Schließlich ist es bestimmt wahnsinnig anstrengend, in Plenarsälen über Dinge zu reden, die mit dem Leben der meisten Menschen nichts mehr zu tun haben. Und hey – der nächste Krieg will ja auch finanziert werden. Wenn die Ampel schon nicht mehr regiert, kann man sich wenigstens gut bezahlen lassen fürs Betreten des Plenarsaals. Oder fürs Fernbleiben. Immerhin spart das Debattenzeit.
Apropos Debatte: Die gab es diesmal natürlich auch. Die AfD und die Linke fanden die Erhöhung unangemessen. Vor allem angesichts der wirtschaftlichen Lage. Und SPD und Union sagten sinngemäß: „Es ist Gesetz. Und was gesetzlich ist, ist gut.“ Historisch gesehen ein spannender Standpunkt.
Achso, da gab’s ja noch eine Partei… Grüne Logik in drei Sätzen: Natürlich stimmen wir für höhere Diäten – schließlich müssen Bio-Smoothies, Lastenrad‐Leasing und moralische Überlegenheit auch bezahlt werden. Und wenn der Automatismus schon automatisch ist, wäre es doch Klimasünde, ihn per Handbremse aufzuhalten. Fazit: Mehr Geld fürs gute Gewissen, weniger Gewissensbisse fürs Geld.
Währenddessen sitzen Rentner, Alleinerziehende, Geringverdiener und viele Menschen mit Behinderung in ihren Wohnungen und hoffen, dass der Heizkostenzuschuss rechtzeitig kommt. Vielleicht sollte man auch deren Einkommen jährlich an die Bundestagsgehälter koppeln – wäre fairer als umgekehrt.
Transparenz oder Zynismus?
Man verkauft es als Transparenz. Als mathematische Logik. „Wir wollten ja gerade verhindern, dass sich Abgeordnete selbst erhöhen.“ Aber das ist, als würde ein Schiedsrichter das Tor selbst schießen, damit sich keiner über den Spieler beschwert. Eine Farce mit freundlichem Gesicht.
Die eigentliche Dreistigkeit liegt aber woanders: Die politische Klasse hat längst den Kontakt zu dem verloren, was „Existenz“ eigentlich bedeutet. Während Bürger mit befristeten Jobs, steigenden Mieten, horrenden Lebensmittelpreisen und einer Verwaltungsbürokratie jonglieren, die Kafka zur Verzweiflung gebracht hätte, gönnt man sich im Bundestag jedes Jahr eine Gehaltsrunde. Und sagt dann: „Wir haben ja auch Verantwortung.“
Ja. Die Verantwortung, das Vertrauen der Menschen zu verspielen.
Lesenswert hierzu: Existenzsichernde Löhne? Nicht das Problem der Chefs!
Die Wut, die bleibt
Es geht hier nicht nur um Geld. Es geht um Symbolik. Um das Gefühl, dass diejenigen, die die Regeln machen, nicht mehr spüren, was sie anrichten. Eine Diätenerhöhung im Bundestag in Zeiten von Inflation, Rezession, Wohnungsnot und Sozialkürzungen ist kein Verwaltungsakt – es ist ein Statement. Und dieses Statement lautet: „Eure Sorgen sind uns bekannt. Aber nicht wichtig.“
Dabei wird vergessen: Politische Kultur lebt nicht vom Gesetzbuch allein. Sie lebt von Haltung. Von Fingerspitzengefühl. Von dem Willen, sich mit dem Volk verbunden zu fühlen – nicht nur rhetorisch, sondern real. Mit allen Konsequenzen.
Stell dir vor, ein Manager in der freien Wirtschaft würde sich in einem Jahr der Massenentlassungen selbst eine Gehaltserhöhung gönnen – er würde medial zerlegt. Aber Abgeordnete? „Ist halt Gesetz.“
Wer schützt uns vor dem Gesetz?
Der eigentliche Skandal ist nicht, dass das gesetzlich möglich ist. Der Skandal ist, dass niemand dieses Gesetz ernsthaft hinterfragt. Dass es keine politische Mehrheit gibt, die sagt: „Lasst uns den Automatismus aussetzen, bis wir wieder in wirtschaftlich stabileren Zeiten leben.“ Oder: „Lasst uns dieses Geld spenden – oder in die Tafel stecken, die unsere verfehlte Sozialpolitik jeden Tag retten muss.“
Aber das passiert nicht. Denn der Bundestag ist ein Spiegel dessen, was wir gewählt haben. Und wenn wir ehrlich sind: Viele Bürger wählen lieber das Bekannte als das Gerechte. Lieber Routine als Risiko. Lieber die, die sagen: „Es läuft“, als die, die sagen: „Es läuft falsch.“
Die Diätenerhöhung im Bundestag ist kein Zufall. Sie ist ein weiteres Symptom für eine Politik, die sich selbst genügt. Die lieber an sich glaubt als an die Menschen. Die von Verantwortung redet und dabei meint: „Verantwortung für mich selbst.“
Und am Ende wird auch diese Erhöhung durchgewunken, abgeheftet und vergessen. Bis zur nächsten. Und zur übernächsten. Bis irgendwann keiner mehr hinsieht – weil keiner mehr glaubt, dass es etwas ändert.
Das Ding is: Wenn der Staat in einer Zeit der sozialen Spaltung, wirtschaftlichen Unsicherheit und politischen Entfremdung nicht einmal bereit ist, symbolisch Verzicht zu üben, dann verliert er mehr als Glaubwürdigkeit – er verliert die Menschen. Es wäre ein leichtes Signal gewesen: Wir hören euch. Wir verstehen, dass ihr kämpft. Und wir kämpfen mit euch. Aber nein – lieber richtet man sich weiter gemütlich ein, auf den Sitzen der Macht, mit Blick auf das Volk, das man einst vertreten wollte.
Die Diätenerhöhung im Bundestag ist keine Zahl. Sie ist ein Schlag ins Gesicht. Und irgendwann wird jemand zurückschlagen. Mit Wut. Mit Abkehr. Oder mit Resignation. Alles drei sind ein Verlust. Für alle.
Herzlichst,
Mike
Mehr zur offiziellen Diätenregelung beim Bundestag