
Lohnt sich Arbeiten noch – oder zahlt sich Bürgergeld mehr aus?
Ein Versuch, die soziale Frage mit einem Taschenrechner, einem Kaffee und ganz viel Sarkasmus zu klären.
Stellen wir uns eine Gesellschaft vor, in der man morgens aufsteht, um freiwillig zur Arbeit zu gehen. Nicht, weil man muss, sondern weil es sich lohnt. Klingt utopisch? Willkommen in Deutschland 2025, wo der Wecker um 5:45 Uhr klingelt, damit man pünktlich um 8:00 Uhr im Supermarkt steht, nur um sich dort den ganzen Tag von schlecht gelaunten Kunden anhusten zu lassen – für 1.600 € netto im Monat. Gleichzeitig sitzt dein Nachbar auf dem Balkon, nuckelt an seiner Fritz-Kola, bekommt Bürgergeld, und seine größte Sorge ist, ob Netflix die nächste Staffel schon hochgeladen hat.
Natürlich alles Klischee. Natürlich alles völlig übertrieben.
Oder?
Wenn Arbeit weniger bringt als Liegenbleiben
Fangen wir mit der ganz simplen Rechenkunst an. Bürgergeld 2025 für Alleinstehende: 563 Euro. Dazu übernimmt der Staat die „angemessene“ Miete und Heizkosten. In Großstädten wie Frankfurt bedeutet das: ca. 850 Euro warm. Macht zusammen: 1.413 Euro monatliche Versorgung für Menschen ohne Erwerbsarbeit.
Jetzt nehmen wir mal das Idealbild des deutschen Leistungsträgers:
40 Stunden pro Woche. Mindestlohn. Das sind seit Januar 2025 12,82 Euro brutto die Stunde. Klingt nach Fortschritt. Aber bei 40 Stunden pro Woche sind das rund 2.220 Euro brutto, was einem Netto von ca. 1.560 Euro entspricht. Davon geht dann die Miete ab. In Frankfurt? Wieder rund 850 Euro. Bleiben 710 Euro für Strom, Essen, ÖPNV, Shampoo, Klopapier, Leben.
Kleiner Unterschied zur Bürgergeld-Variante: die Person mit Job steht jeden Morgen auf, quetscht sich in überfüllte U-Bahnen, wird von der Chefin angekeift und darf dann sehen, wie sie mit 150 Euro mehr im Monat als der Netflix-Nachbar klarkommt. Na wenn das mal kein Anreizsystem ist!
Sozialstaat oder Sozialneidstaat?
Jetzt könnten wir natürlich sagen: „Ja gut, dann such dir halt einen Job, der mehr bringt!“ Und ja, den gibt’s. Kassiererin in Vollzeit? Vielleicht 1.750 Euro netto. Friseurin? Hüstel – mit Glück 1.300 Euro. Und wenn du im Handwerk arbeitest oder die Alten pflegst, darfst du dich freuen, dass dein Job „systemrelevant“ ist – was so viel heißt wie: Du bekommst einen warmen Applaus vom Balkon, aber kein warmes Essen am Monatsende.
Und genau hier liegt der Hund begraben (und zwar mit offenen Rechnungen):
Der Lohnabstand zwischen Arbeit und Bürgergeld ist in bestimmten Bereichen minimal. Da kann man sich noch so sehr anstrengen, die Differenz bleibt überschaubar. In einigen Fällen liegt sie bei 150 bis 200 Euro. Netto. Im Monat. Für 160 Stunden Arbeit. Das ist weniger als ein Netflix-Abo, ein günstiger Zahnarztbesuch oder ein Wochenendeinkauf bei Rewe.
Aber klar, laut Friedrich Merz leben wir in einem Land, „in dem Nichtarbeit besser bezahlt wird als Arbeit“. Wenn das mal nicht der Leitsatz für eine neue Kampagne wird: „Mehr Zeit für dich. Weniger Geld für deinen Chef. Bürgergeld 2025 – jetzt beantragen!“
Die Legende vom faulen Reichtum
Schaut man sich TikTok an, könnte man glauben: Jeder zweite Bürgergeld-Empfänger lebt wie ein Investment-Banker. Es kursieren Videos von Leuten, die vorrechnen, wie viel sie „bekommen“, ohne zu arbeiten. Dazu chillige Musik, Sonnenbrillen, der obligatorische Latte Macchiato. Der Algorithmus liebt’s.
Die Realität? Weniger glamourös. Die meisten Bürgergeld-Beziehenden sind weder faul noch heimlich reich. Viele sind krank, alleinerziehend, in Ausbildung oder schlicht in einer schwierigen Lebenssituation. Oder sie gehören zu den Millionen, die trotz unzähliger Bewerbungen einfach keinen Job finden – besonders, wenn man über 50 ist und nicht gerade Programmierer bei SAP war.
Und trotzdem: Das Bild vom „Sozialschmarotzer“ sitzt tief.
Die öffentliche Meinung teilt sich grob in zwei Lager:
- Team „Anreiz“: Das Bürgergeld ist zu hoch! Die Leute bleiben freiwillig zu Hause! Wir brauchen Sanktionen, Zwangsarbeit und das gute alte Schamgefühl zurück!
- Team „Respekt“: Die Löhne sind zu niedrig! Wer arbeitet, soll mehr verdienen! Aber nicht, indem man die Ärmsten noch ärmer macht, sondern indem man faire Bezahlung garantiert!
Zwischen diesen beiden Polen liegt die Realität. Und die ist meistens viel grauer als jede Twitter-Parole.
Arbeiten für den Selbstwert. Oder fürs Minus?
Lohnt sich Arbeit also? Ja. Zumindest für die innere Uhr, das Ego und die Steuerklasse.
Denn Arbeit ist mehr als Geld. Sie strukturiert den Tag, gibt (im besten Fall) Sinn, ermöglicht soziale Kontakte und verhindert, dass man am Dienstagmorgen Der Preis ist heiß schaut.
Aber sie macht auch krank. Vor allem dann, wenn der Respekt fehlt, die Bezahlung mies ist und man mit den letzten Kräften die Schicht beendet – nur um am Monatsende festzustellen, dass das Konto trotzdem leer ist. Dann wird aus Sinn schnell Zynismus. Und aus Motivation das berühmte Dienst nach Vorschrift.
Bürgergeld als Statussymbol?
Wer Bürgergeld bezieht, ist nicht automatisch faul. Die meisten wollen arbeiten. Viele schämen sich sogar, auf Hilfe angewiesen zu sein. Aber in der Debatte interessiert das niemanden. Stattdessen gibt’s Empörungs-Content: „Wieso bekommt der faule Typ da genauso viel wie ich, obwohl ich jeden Tag arbeite?“ Gute Frage. Schlechte Antwort: Vielleicht, weil dein Job nicht angemessen bezahlt wird.
Denn die wahre Schieflage liegt nicht im Bürgergeld.
Sondern im Niedriglohnsektor.
Lösungswege? Vielleicht mal wirklich radikal denken.
Jetzt mal Butter bei die Neiddebatte: Wir können die Leute natürlich weiter gängeln, das Bürgergeld kürzen, Arbeitslose zu Aufräumtrupps schicken und ihnen jeden Cent vorrechnen, bis sie endlich „was machen“. Aber vielleicht – nur vielleicht – gibt es ja einen anderen Weg. Einen, bei dem man Menschen nicht motiviert, indem man sie in Panik versetzt, sondern indem man ihnen ein Stück Vertrauen schenkt.
Was wäre, wenn wir jedem Menschen einfach genug Geld geben würden, um zu leben – ganz ohne Bedingungen?
Kein Antrag, kein Amt, keine Demütigung. Einfach ein fester Betrag jeden Monat. Für alle.
Willkommen in der Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen.
Was nach Drogenrausch auf einem Soziologie-Festival klingt, ist längst konkret durchgerechnet worden: Mehrere deutsche Modelle schlagen Beträge zwischen 1.000 € und 1.200 € pro Monat für jeden Erwachsenen vor. Ohne Bedürftigkeitsprüfung. Ohne Sanktionen. Ohne schlechtes Gewissen. Einfach so. Weil du ein Mensch bist.
Und das Erstaunliche: Es funktioniert.
Pilotprojekte in Deutschland haben gezeigt, dass Menschen nicht fauler werden, wenn man ihnen Existenzsicherheit gibt – sie werden entspannter, gesünder und oft sogar motivierter. Viele nutzen das Grundeinkommen, um Weiterbildungen zu machen, sich neu zu orientieren oder überhaupt erst wieder mit sich selbst klarzukommen. Weil sie zum ersten Mal in Jahren durchatmen können.
Das Grundeinkommen entkoppelt Existenz und Zwang. Es ist kein Geld fürs Nichtstun – sondern ein Fundament, auf dem man aufbauen kann. Wer will, arbeitet weiter. Wer nicht kann, wird nicht gequält. Und wer neu anfangen will, bekommt dafür die Luft zum Atmen.
Natürlich kostet das Geld. Aber Spoiler: Unser derzeitiger Sozialstaat ist auch nicht gerade ein Witzblatt auf recyceltem Papier. Im Gegenteil: Viele BGE-Modelle würden Bürokratie abbauen, viele Einzelleistungen zusammenfassen und durch ein einziges, transparentes System ersetzen. Und ja – man könnte die Reichen stärker besteuern. Aber sind wir ehrlich: Die wissen eh nicht mehr, wohin mit der Kohle.
Was das Ganze mit dem Thema dieses Beitrags zu tun hat?
Ganz einfach: Ein Grundeinkommen würde den ganzen absurde Lohnt-sich-Arbeit-gegenüber-Bürgergeld-Vergleich endlich ad acta legen. Denn dann hätten alle ein finanzielles Grundgerüst. Und wenn man trotzdem arbeiten geht, dann nicht, weil man sonst obdachlos wird – sondern weil man Lust hat, was Sinnvolles zu tun, was aufzubauen, was beizutragen.
Ein Job wäre keine Überlebensfrage mehr, sondern wieder das, was er sein sollte: eine Entscheidung.
Und ganz nebenbei: Wer keinen Druck hat, jeden Mistjob anzunehmen, sorgt dafür, dass Arbeitgeber sich mehr Mühe geben müssen – mit Löhnen, Arbeitsbedingungen, Respekt. Das könnte ein BGE sogar zu einer Art Turbo-Reform für die Arbeitswelt machen.
Ist das radikal? Ja.
Aber manchmal ist die radikalste Lösung die menschlichste.
Das Ding is:
Wir führen gerade eine Neiddebatte am falschen Ende.
Nicht das Bürgergeld ist das Problem – sondern die Tatsache, dass viele Menschen trotz Vollzeitjob kaum besser dastehen. Wer sich ärgert, dass ein Arbeitsloser fast gleich viel bekommt wie ein Arbeiter, sollte nicht nach unten treten. Sondern nach oben fragen: Warum verdienen so viele Jobs so wenig?
Wir brauchen keine Sanktionen für die ohne Arbeit, sondern bessere Löhne für die mit. Eine echte Anerkennung von Arbeit. Nicht nur durch warme Worte, sondern durch warme Mahlzeiten. Mit vollem Kühlschrank und halbwegs entspannter Miete.
Und vielleicht – ja, vielleicht – ist es Zeit, über das bedingungslose Grundeinkommen ernsthaft zu sprechen. Nicht als linke Spinnerei. Sondern als konkrete Möglichkeit, Menschen aus der Existenzangst zu holen, Bürokratie zu verringern und den Arbeitsmarkt wieder auf Augenhöhe zu bringen.
Ein Grundeinkommen könnte das sein, was wir brauchen, um wieder Lust aufs Arbeiten zu bekommen. Nicht, weil wir müssen – sondern weil wir können.
Herzlichst,
euer Mike Hardel