
Wenn Kamtschatka bebt und Putin hustet – oder: Warum wir überall Muster sehen, wo keine sind
„Immer wenn es in Kamtschatka bebt, stirbt ein Jahr später ein russischer Präsident.“
Klingt nach dem astrologischen Horoskop für den Kreml, wurde aber tatsächlich schon ernsthaft im Internet diskutiert. Gut, das Internet ist auch der Ort, an dem Leute glauben, dass Katzen der Antichrist sind und Bill Gates den Mond besitzt. Aber immerhin: Man muss schon ein echtes Talent für absurde Zusammenhänge haben, um zwischen einem Erdbeben auf einer abgelegenen Halbinsel im Nirgendwo und dem Ableben eines schwer bewachten Staatschefs eine Verbindung zu basteln.
Und genau darum geht’s heute. Nicht um Kamtschatka oder Putin – sondern um uns. Um dich. Um mich. Um die Menschheit.
Denn wir sind Weltmeister in einer olympischen Disziplin namens Kausalitätsillusion. Zwei Dinge passieren zufällig nacheinander? Jackpot. Schon denkt unser Gehirn: „Na klar! Das eine hat das andere verursacht. Muss ja.“ Es gibt sogar einen lateinischen Fachbegriff dafür: Post hoc ergo propter hoc. Klingt schlau, ist aber nur eine höfliche Umschreibung für: „Wir sind manchmal echt blöd.“
Also, lass uns ein paar dieser Mythen, Aberglauben und pseudowissenschaftlichen Kaffeesatzorakel anschauen – und gemeinsam zerlegen. Ironisch, bissig und mit einer Prise Erkenntnis. Denn das Einzige, was schlimmer ist als der Glaube an den rückläufigen Merkur, ist der Versuch, ernsthaft mit jemandem zu diskutieren, der daran glaubt.
Kamtschatka, Kreml und kosmischer Quatsch
Beginnen wir mit dem Mythos, der diesen Artikel inspiriert hat: Immer wenn in Kamtschatka ein Erdbeben stattfindet, stirbt ein Jahr später ein russischer Präsident.
Das klingt nach einer Mischung aus „Game of Thrones“ und russischem Wetterbericht. Die Erde bebt, und ein Jahr später fällt der Präsident vom Stuhl. Da ist alles drin: geopolitische Symbolik, göttliche Rache und die Vorstellung, dass Mutter Natur den Kreml persönlich auf dem Kieker hat.
Dumm nur: Kamtschatka bebt ständig. Es liegt auf dem Pazifischen Feuerring – also einer Art Hyperaktive-Zone für Vulkane und tektonische Platten. Wenn man jedes Mal, wenn dort ein Erdbeben ist, ein Jahr lang auf den russischen Präsidenten starren würde, müsste man vermutlich Putin klonen, um genug Tode einzusammeln.
Und trotzdem hält sich dieser Unfug. Warum? Weil es einmal halbwegs gepasst hat. 1923 soll es auf Kamtschatka gebebt haben, 1924 starb Lenin. 1952 gab’s ein Beben, 1953 war Stalin tot. Für die Freunde des magischen Denkens ist das Beweis genug. Dass in der Zwischenzeit unzählige Erdbeben passiert sind, ohne dass im Kreml jemand umgefallen ist – irrelevant. Selektive Wahrnehmung nennt man das. Oder auch: Confirmation Bias. Das ist das Ding, das uns glauben lässt, dass unser Lieblings-Bier uns immer Glück bringt – außer an den Tagen, an denen wir betrunken mit gescheiterten Tinder-Dates im Taxi nach Hause kotzen.
Schwarze Katzen und andere pelzige Weltuntergänge
Apropos Confirmation Bias: Lass uns über schwarze Katzen sprechen. Die, die angeblich Unglück bringen, wenn sie deinen Weg kreuzen.
Warum genau? Weil im Mittelalter irgendein schlecht gelaunter Bischof beschlossen hat, dass schwarze Katzen Hexenvertraute seien. Man hat sie dann massenhaft verbrannt oder erschlagen – was dummerweise zur Folge hatte, dass sich die Ratten freuten, die Pest kam und halb Europa starb. Kurz: Die schwarze Katze wollte nur Mäuse jagen, wurde zur Projektionsfläche menschlicher Dummheit und dann noch verantwortlich gemacht, als die Leute an ihren eigenen Flöhen krepierten.
Heute noch kriegen manche Panik, wenn Minka in falscher Farbe auf der Straße spaziert. Und du denkst dir: Ernsthaft? Die Katze hat keine Agenda. Sie hat Hunger.
Und vielleicht ein paar lose Haare.
An dieser Stelle möchte ich euch unsere schwarze Katze vorstellen. Sie lebt bei uns – und bisher ist niemand gestorben. Kein Nachbar, kein Staatschef, nicht mal der Pflanzen im Garten.
Bitte schaut euch dieses gefährliche Wesen an. Sie könnte jederzeit einen Bürgerkrieg auslösen. Oder einfach nur ein Nickerchen machen. Man weiß es nicht.
„Achtung! Schwarze Katze. Kreuzt regelmäßig Wege. Vor allem den zur Küche. Bringt höchstens die Leckerli-Vorräte in Gefahr.“
Vollmond: Die Disco-Kugel der Apokalypse
Dann wäre da noch der Vollmond. Ach ja. Der Klassiker unter den kosmischen Sündenböcken.
„Bei Vollmond gibt’s mehr Geburten!“
„Bei Vollmond drehen die Leute durch!“
„Bei Vollmond kann ich nicht schlafen!“
Gut. Vielleicht liegt’s auch daran, dass du zwei Flaschen Wein und 248 TikTok-Videos vor dem Einschlafen konsumiert hast. Aber hey – blame the moon.
Tatsache ist: Der Mond hat exakt null Einfluss auf deine Psyche. Außer du bist ein Werwolf. Dann bist du entschuldigt. Für alle anderen gilt: Studien zeigen keine signifikante Zunahme von Geburten, Notfällen oder Wahnsinn während des Vollmonds.
Aber du erinnerst dich eben nur an diesen einen Abend, wo dein Kind geboren wurde, gleichzeitig dein Nachbar nackt durch den Garten lief und der Toaster explodierte – und das war halt Vollmond. Der Rest? Pff. Unwichtig. Kein Mythos ohne selektive Erinnerung. Kein Blödsinn ohne Bestätigung.
Merkur rückwärts: Der kosmische Praktikant macht wieder Faxen
Ein besonders sympathischer Mythos moderner Prägung: Merkur ist rückläufig – und deshalb funktioniert nichts.
Jedes Mal, wenn irgendwas schiefläuft – Akku leer, falsche E-Mail, Ex meldet sich – heißt es sofort: „Merkur, du kleiner Drecksack!“
Das Internet ist voll von Memes à la „Merkur ist rückläufig – ich bleib heut im Bett.“
Man fragt sich: Was genau soll da rückläufig sein? Merkur bewegt sich doch gar nicht wirklich rückwärts. Es sieht nur so aus. Von der Erde aus. Für ein paar Tage. Ein astronomischer optischer Effekt – aber für Esoteriker ist das der kosmische Weltuntergang in Etappen.
Was haben wir gelernt? Ein Planet 80 Millionen Kilometer entfernt hat deine Beziehung ruiniert, deine Kommunikation sabotiert und dich dazu gebracht, dein Auto mit Olivenöl zu tanken. Alles klar.
Freitag der 13.: Wenn Zahlen uns Angst machen
Und dann dieser Evergreen: Freitag, der 13.
Wenn man nach Versicherungen geht, ist das der ruhigste Tag des Monats. Warum? Weil keiner aus dem Haus geht. Weil alle Angst haben. Das ist, als würde man Angst vorm Fliegen haben und dadurch tatsächlich nicht abstürzen – weil man einfach daheim bleibt.
Die Angst erfüllt sich selbst, indem sie dich lähmt.
Aber wir glauben trotzdem daran.
Warum? Weil am Freitag, dem 13., mal was passiert ist. Also glauben wir: Immer!
Wenn am Dienstag, dem 8., dein Kühlschrank explodiert – vergisst du’s. Wenn’s aber am Freitag, dem 13., passiert: „Hab ich’s doch gesagt!!“
Das ist so ähnlich wie das Ding mit den Müttern. Ich habe, als ich 16 Jahre alt war, meinen Geldbeutel im Bus vergessen. Klar war der weg. Das ist mir ein einziges Mal in meinem Leben passiert. Meine Mutter hat da allerdings ein ganz anderes Erinnerungsvermögen. Noch heute, 34 Jahre später, höre ich von ihr: „Hast Du alles? Du vergisst ja auch immer deinen Geldbeutel im Bus“…
Regen bei Hochzeiten: Göttlicher Scherz oder schlechtes Timing?
Ein weiterer Lieblings-Mythos: Regnet es am Hochzeitstag, ist das ein schlechtes Omen.
Warum? Weil dein perfekter Tag nicht ganz so perfekt ist?
In Indien ist Regen bei Hochzeiten ein Segen. In Deutschland ist es ein Grund, sich scheiden zu lassen, bevor man die Torte anschneidet.
Man stelle sich vor, das Wetter würde wirklich über die Ehe entscheiden. Dann wäre meine erste Ehe in der Wüste von Nevada wahrscheinlich heute noch intakt. Spoiler: Ist sie nicht.
WM gegen Italien = Wirtschaftskrise
Hier kommt mein Favorit unter den „Zufälle sind keine Zufälle“-Legenden:
Immer wenn Deutschland bei einer WM gegen Italien verliert, crasht die Wirtschaft.
Das ist so deutsch, dass man eigentlich nur den DAX mit einem Bierkasten vergleichen muss: Wenn der umkippt, war’s wahrscheinlich wieder ein Elfmeter.
Und ja, irgendwo findet man sicher eine Statistik, die das halbwegs stützt. Aber man findet auch Leute, die überzeugt sind, dass Impfungen WLAN stören.
Und was sagt die Wissenschaft?
Jetzt mal ernsthaft.
Warum glauben wir so einen Quatsch?
Die Antwort ist ernüchternd, aber menschlich:
Wir suchen Muster. Wir brauchen Ordnung.
Wenn etwas passiert, wollen wir wissen, warum. Und wenn wir’s nicht wissen – dann erfinden wir eben eine Erklärung.
Der Fachbegriff dafür: Kausalitätsillusion.
Das Gehirn bastelt Verbindungen, wo keine sind. Lieber eine falsche Erklärung als gar keine.
Dazu kommt: Wir merken uns nur das, was in unser Weltbild passt. Wenn die schwarze Katze tatsächlich den schlimmsten Tag deines Lebens einleitet – zack, gespeichert.
Wenn sie aber 100 Mal vorbeiläuft und nix passiert? Langweilig. Wird aussortiert.
Confirmation Bias. Unser eingebauter Wahrnehmungsfilter für Bullshit mit Gütesiegel.
Das Ding is:
Wir glauben an Zufälle – solange sie in unser Weltbild passen. Wir suchen Muster – auch wenn sie gefährlich falsch sind. Wir sehen Verbindungen – und verpassen die Wahrheit.
Der Aberglaube ist wie ein bequemes Kissen für unser Denken: Er macht es uns leicht, nicht nachzudenken.
Aber manchmal… nur manchmal… wäre es gut, das Kissen wegzuwerfen und einfach zu sagen:
„Ich weiß es nicht. Es war wohl einfach… Zufall.“
Denn nur wer den Zufall aushält, kann Wahrheit erkennen.
Und das ist viel magischer, als es irgendein rückläufiger Planet je sein könnte.
Und jetzt schau ich wo unsere Katze ist. Nicht das sie meinen Weg vom Denkzimmer (mein Zimmer in dem meine Artikel entstehen) kreuzt, und ich am ende die Treppe runterfalle.
Herzlichst,
Mike