
Es beginnt, wie alles beginnt: harmlos. Ein bisschen Werteerziehung hier, ein bisschen Tagesschau da, vielleicht ein T-Shirt mit der Aufschrift „Vielfalt ist unsere Stärke“ und ein pädagogisch wertvoller Netflix-Film über den Klimawandel. Und plötzlich steht der Nachwuchs da, stolz wie ein frischgebackener Revolutionär – und trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Bargeld statt Baerbock“.
Spätestens in dem Moment stellt man fest: Kinder sind wie das Internet. Du glaubst, du hast Kontrolle – bis es dir plötzlich eine extremistische Meinung vorschlägt, von der du nicht mal wusstest, dass sie existiert.
Von links gewickelt – rechts abgebogen
Da gibt man sich Mühe. Hat das Kind nie zum Zahnarzt gezwungen, dafür aber zur Fridays-for-Future-Demo geschleift. Hat erklärt, warum Gendern wichtig ist, und warum Friedrich Merz das personifizierte Patriarchat ist. Und dann… findet der eigene Sohn ausgerechnet Merz „ganz vernünftig“.
Oder noch schlimmer: Er hört sich mal alle Positionen an, denkt selbst – und lehnt sich plötzlich weder an links noch rechts an, sondern an die Realität. Skandal!
Und das ist vielleicht der wahre Schock: Dass Kinder irgendwann eigene Meinungen entwickeln. Und zwar nicht, weil sie von finsteren Telegram-Gruppen verführt wurden. Sondern, weil sie anfangen, die elterliche Meinungsdiktatur zu hinterfragen.
Toleranz ja – aber bitte nur für unsere Seite
Natürlich haben wir sie alle geliebt, diese Sätze wie:
- „Ich will, dass mein Kind kritisch denkt.“
- „Ich möchte, dass es sich eine eigene Meinung bildet.“
- „Ich will, dass es politisch aktiv ist.“
Was wir damit meinten war: „Ich will, dass mein Kind genau das denkt, was ich denke, nur etwas leidenschaftlicher.“
Doch plötzlich liest es Sarrazin. Oder spricht von „Übergriffigkeit der Wokeness“. Oder hängt sich eine Israel-Flagge ins Zimmer. Oder eine Palästina-Flagge. Oder beide – je nach Provokationslust.
Vater links, Mutter grün, Kind AfD light
In deutschen Wohnzimmern spielt sich ein seltsames Drama ab: Der 17-jährige Sohn kritisiert die Migrationspolitik. Die Eltern sind entsetzt. Nicht etwa, weil er lügt. Sondern weil er nicht mehr mitspielt im Spiel „Sag nichts, was der Freundeskreis komisch finden könnte“.
Andersrum gibt’s das natürlich auch. Der Vater trägt stolz das Deutschlandtrikot, die Tochter liest Marx im Original und fragt beim Abendessen, ob es glutenfrei, CO₂-neutral und dekolonialisiert ist. Man diskutiert nicht mehr – man mauert sich ein.
Neutralität ist eine Lüge – und das ist okay
Die Vorstellung, man könne ein Kind neutral erziehen, ist romantisch – wie das Konzept „Freundschaft Plus“. Es klingt gut, führt aber unausweichlich zu Irritation, Missverständnissen und plötzlichem FDP-Wahlverhalten.
Jedes Weltbild färbt ab. Wer Toleranz predigt, vermittelt gleichzeitig, was er für intolerabel hält. Und Kinder sind nicht doof. Sie lernen, was zwischen den Zeilen steht – auch wenn’s da gar keine Zeilen mehr gibt, weil Papa alles mündlich macht.
Wenn die Meinung der Kinder zur Kränkung der Eltern wird
Was viele nicht zugeben wollen: Wir sind nicht sauer, weil unser Kind „falsch“ liegt. Wir sind sauer, weil es uns spiegelt. Unsere Erziehung, unsere Ängste, unser Übermaß an politischer Korrektheit oder unsere verbohrte Weltsicht. Und weil es den Mut hatte, zu sagen: „Ich seh das anders.“
Wir wollten, dass unsere Kinder frei werden – aber bitte innerhalb der Grenzen unserer Gesinnungsgemeinschaft. Alles andere ist gefährlich. Oder Nazi. Oder linksradikal. Oder bürgerlich. Oder liberal – was ja bekanntlich das Schlimmste ist, weil es nie Haltung hat.
Was nun? Ausschluss aus der Familie oder Debatte beim Abendessen?
Es gäbe Alternativen zum Drama: Man könnte diskutieren. Zuhören. Fragen stellen. Unterschiede aushalten. Aber das setzt voraus, dass man aushalten kann, nicht recht zu haben. Und ganz ehrlich: Wer hat dafür heute noch Nerven?
Ein kleiner Eltern-Ratgeber für den politischen Ernstfall:
- Dein Kind denkt anders? Herzlichen Glückwunsch, du hast kein Papagei erzogen.
- AfD, Grüne, FDP, Antifa, Reichsbürger, Genderkritik oder Genderaktivismus? Atmen. Zählen. Fragen. Nicht sofort enterben.
- Diskussionen führen. Und zwar nicht wie Anne Will, sondern wie jemand, der neugierig ist.
- Eigenes Ego runterfahren. Dein Kind denkt anders. Nicht gegen dich.
- Schlechteste Lösung: Den Kontakt abbrechen. Beste Lösung: Reden. Lachen. Und vielleicht mal zusammen die Verfassung lesen. Oder zumindest Memes austauschen.
Das Ding is:
Wir haben verlernt, mit Widerspruch umzugehen. Und dabei vergessen, dass echte Meinungsfreiheit nicht dort aufhört, wo’s unangenehm wird – sondern da überhaupt erst beginnt. Unsere Kinder sind keine politischen Produkte. Sie sind Menschen, die denken, fühlen, zweifeln. Und das darf – ja, muss! – auch mal gegen unser Weltbild gehen.
Vielleicht ist das größte Zeichen von erfolgreicher Erziehung nicht ein Kind, das uns zustimmt, sondern eins, das uns widerspricht – und uns trotzdem liebt.
Herzlichst, euer Mike Hardel
👉 Lust auf Diskussion? Erzähl mir: Was würde dich mehr schocken – ein Grüner Sohn oder eine AfD-Tochter? Schreib’s in die Kommentare!